DiGA und DiPA – Zwillinge mit Luft nach oben
Die Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ist wünschenswert. Denn eine schnelle und umfassende Digitalisierung ist ein wirksames Instrument, um den Effekten der demografischen Entwicklung – Verknappung des Arbeitskräfteangebotes bei steigender Inanspruchnahme von Pflege- und Gesundheitsleistungen – entgegenzutreten.
Der Gesetzgeber hat diese Notwendigkeit erkannt und ein ganzes Bündel von Digitalisierungsgesetzen für den Gesundheitssektor auf den Weg gebracht. Ein wichtiger Baustein: Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung haben Anspruch auf Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Pflegebedürftige haben Anspruch auf Versorgung mit Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA).
Die Gesundheits-App auf Rezept, die Pflege-App zur Verbesserung der häuslichen Versorgungssituation – was bestechend einfach klingt, ist doch ein komplexes Produkt. Für die Hersteller von DiGA/DiPA gelten hohe Anforderungen, bevor eine Erstattungsfähigkeit nach dem SGB V bzw. SGB XI erreicht ist. So muss der Nutzen der digitalen Anwendung evidenzbasiert dargelegt werden. Zusätzlich muss der Hersteller nachweisen, dass seine Anwendung datenschutzkonform ist und die strengen Datenschutzkriterien für DiGA/DiPA erfüllt. Und im Falle einer DiGA muss das Produkt immer nach medizinprodukterechtlichen Vorgaben in Verkehr gebracht sein. Erst dann erfolgt die Aufnahme in die Liste erstattungsfähiger Anwendungen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt wird. Das BfArM als Herr des gesamten Verfahrens bietet mit seinen Leitfäden und Checklisten wertvolle Informationen für die Hersteller.
Nach dem Startschuss des DiGA-Verzeichnisses im Oktober 2020 sind heute rund 60 digitale Gesundheitsanwendungen gelistet. Deren Anteil nimmt zu. Schwerpunkt sind weiterhin Anwendungen für den Indikationsbereich Psyche. Ein Anfang ist gemacht. Das DiPA-Verzeichnis des BfArM wurde im Dezember 2022 freigeschaltet. Nach 20 Monaten fällt hier die Zwischenbilanz allerdings ernüchternd aus. Es gibt keine gelistete digitale Pflegeanwendung. Der Kosmos der häuslichen Pflege erscheint abgehängt von digitalen Weiterentwicklungen. Woran liegt das?
An intelligenten Apps und Webanwendungen für die häusliche Pflege fehlt es nicht. So ermöglicht ein Urintestgerät für die häusliche Toilette eine hygienische Probennahme und liefert Rohdaten aus dem Urin an die App, die dort ausgewertet und gezeigt werden. Damit können wichtige Erkenntnisse über den Nährstoff- und Flüssigkeitshaushalt gewonnen werden. Auch die Medikamenteneinnahme kann abgebildet werden. Somit werden Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und der ambulante Pflegedienst in die Lage versetzt, entscheidende Informationen abrufbereit zu haben. Die Überwachung der häuslichen Versorgungssituation kann erleichtert und qualitativ verbessert werden, dem Entstehen von Gesundheitsproblemen,etwa durch unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, kann wirksam vorgebeugt werden. Weitere einsatzbereite Beispiele für DiPA/DiGA sind eine Asthma-App auf Basis eines Atemmessgeräts, eine Diabetes-App auf Basis eines Blutzuckermessgerätes, eine Gerinnungsstörungs-App auf Basis des gemessenen INR-Wertes. Allen Beispielen ist gemein, sie sind anwendungsreif. Und allen Beispielen ist gemein, dass die Datengrundlage für die digitale Anwendung ein In-vitro-Diagnostikum (IVD) ist. Und in letzterem liegt des Rätsels Lösung für die unbefriedigende Versorgungslage.
Hierzu ist ein kurzer Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen hilfreich. Demnach ist eine DiGA eine Software als Medizinprodukt oder als IVD. Folgerichtig kann eine solche Software entweder nach der Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte oder nach der Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika in Verkehr gebracht werden. Maßgeblich für die Einordnung in die jeweilige Regelung ist die Zweckbestimmung und die Herkunft der in der Software verarbeiteten Rohdaten. Liegt deren Schwerpunkt auf Rohdaten aus einem IVD, so ist die Software gemäß der IVD-Verordnung in Verkehr zu bringen. Die Legaldefinition der DiGA im SGB V stellt aber allein auf die Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 ab. Somit sind alle Anwendungen, die auf IVD-Daten basieren, als DiGA und als DiPA ausgeschlossen. Eine Modifizierung des § 33a SGB V ist erforderlich. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, DiPA in die Versorgung zu bringen.
Dieser Klartext von Dr. Martin Walger (VDGH) ist |transkript 3/2024 entnommen.